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Hier ist die Super League besser als die Bundesliga
Normalerweise schneidet die Bundesliga in fast allen Belangen besser ab als die Super League. Doch in einem Aspekt hat die Schweiz die Nase vorn.
Die Rolle des kleinen Aufmüpfigen ist Werder Bremen wie auf den Leib geschneidert: Trotz Standortnachteil im rauen Norden Deutschlands gehört der Club zum Inventar der Bundesliga. Nur eine Saison verpasste er: 1980/81. Werder ist vierfacher Meister, sechsfacher Pokalsieger, triumphierte im Cup der Cupsieger. Der Verein ist Spezialist darin, den Grossen eins auszuwischen. Und gelingt ihm das nun ein weiteres Mal, könnte das stärker nachwirken als ein Titel. Es kann den deutschen Fussball verändern.
Es geht um die Frage, ob und wie sich die Clubs an den Polizeikosten beteiligen müssen, die rund um ihre Partien anfallen. Und, ganz grundsätzlich: ob es überhaupt noch vertretbar ist, dass der inflationäre Hochkommerzfussball nicht stärker in die Pflicht genommen wird – und dafür der Steuerzahler bezahlt.
Geht es nach dem Bundesland Bremen, muss sich zwingend etwas tun. Seit 2015 hat die zuständige Behörde die Rechnungen für sieben Hochrisikospiele Werders (vier davon gegen den mittlerweile abgestiegenen Hamburger SV) an die Deutsche Fussball Liga (DFL) weitergeleitet. Diese, als Dachverband aller Proficlubs Veranstalter der Bundesliga, klagte gleich gegen die erste Rechnung in der Höhe von 425'718.11 Euro.
Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht entschied die Liga für sich, in nächster Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht verlor sie. 1:1 – eine Entscheidung am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig musste her. Dass die Verhandlung letzten März live im Free-TV übertragen wurde, deutet auf die Gewichtigkeit des Falls hin. Das Urteil: Eine Beteiligung der Proficlubs an den Polizeikosten ist grundsätzlich rechtens. Ein Paukenschlag.
Das Urteil kann von der Tragweite mit jenem verglichen werden, welches 2009 in der Schweiz gefällt wurde. Ein Jahr zuvor hatte der Kanton Neuenburg festgehalten, dass Sportclubs 60 bis 80 Prozent der Kosten für Sondereinsätze der Polizei übernehmen müssen. Eine Beschwerde von Xamax und dem HC La Chaux-de-Fonds wies das Bundesgericht ab.
Seither haben die Clubs individuelle Vereinbarungen mit der öffentlichen Hand getroffen. Die Bandbreite ist gross (siehe Tabelle oben): Der FC Sion wird als einziger Club nicht in die Pflicht genommen. Der FC Thun zahlt 1.50 Franken pro Zuschauer, was in etwa einem jährlichen Betrag von 150'000 entspricht. In Zürich galt die Vereinbarung, dass der FCZ und GC pro Jahr maximal eine halbe Million aufwenden müssen. Der FCZ erreichte im vergangenen Jahr diesen Wert. Im Falle von GC wurde nach dem Abstieg letzten Sommer das Kostendach auf 200'000 Franken herabgesetzt. Der FC Luzern musste zuletzt 621'000 Franken beisteuern.
Am meisten bezahlen die Grossclubs YB und Basel. Was Sinn ergibt, ziehen sie doch am meisten Zuschauer an. YB bezahlte rund 1 Million, Basel auch. Wobei sich die Kosten für den FCB in Saisons, in denen er an der lukrativen Champions League teilnimmt, auf rund 2 Millionen Franken erhöhen können. Regierungsrat Baschi Dürr (FDP), Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt, spricht von einer modernen Lösung. FCB-Präsident Bernhard Burgener bezeichnete diese als «fair», als sie 2017 in Kraft trat.
Die Basler Einigkeit kann durchaus als Sinnbild für den Schweizer Fussball bezeichnet werden. Wird in Deutschland gerade heftig über die Polizeikosten gestritten, werden diese hierzulande zwar immer mal wieder zum Thema gemacht – vorab dann, wenn es rund um eine Partie zu Ausschreitungen gekommen und ein ausserordentlicher Polizeieinsatz vonnöten war. Doch hört man sich bei den zuständigen Behörden und Clubs um, werden kaum kritische Voten laut.
In Zürich lobt Robert Soos, Kommunikationsleiter beim Polizeidepartement der Stadt, die Zusammenarbeit mit den Clubs. In Bern willigte YB 2018 ein, das Abgeltungsmodell bis 2023 zu verlängern. Auch wenn Geschäftsführer Wanja Greuel findet, dass der Club tendenziell zu viel bezahlen müsse. Er verweist darauf, dass bei solchen Diskussionen oft positive Effekte des Fussballs unterschlagen würden. Und erwähnt eine von der Swiss Football League (SFL) in Auftrag gegebene Studie. Diese kam zum Ergebnis, dass die Young Boys in der Saison 2013/14 im Kanton Bern eine Bruttowertschöpfung von 47 Millionen Franken generiert und die Aktivitäten des Clubs ein Arbeitsvolumen von 400 Vollzeitstellen geschaffen hatten. Nach den Erfolgen der letzten Jahre und dem damit verbundenen Wachstum dürften heuer beide Werte höher sein.
Und selbst der FC Luzern, der neben Basel und YB am meisten zahlt, kann mit der Vereinbarung leben, wie der FCL-Kommunikationsverantwortliche Markus Krienbühl sagt. Eine Kostenbeteiligung sei nachvollziehbar. «Auch wenn wir uns wünschen würden, dass unser Beitrag tiefer wäre.» Von einer solchen Einigkeit ist man in Deutschland weit entfernt. Die DFL beglich zwar im September Gebührenbescheide des Bundeslandes Bremen für vier Werder-Partien in der Höhe von 1,17 Millionen Euro, verrechnete aber die Hälfte der Summe Werder. Der Club reichte in der Folge bei der DFL einen Antrag auf eine «angemessene Teilung» der Kosten unter den 36 Erst- und Zweitliga-Clubs ein.
Das Modell sah vor, dass sich Werder, die DFL und der jeweilige Gastverein die Kosten teilen. Im Dezember wurde darüber abgestimmt. 32 Clubs votierten gegen den Bremer Antrag, 2 fehlten bei der Abstimmung. RB Leipzig enthielt sich. Das aufmüpfige Werder wurde zurechtgestutzt.
Vom Tisch ist das Thema damit nicht. Werder hat angekündigt, den Rechtsweg zu beschreiten. Und: In Zeiten, in denen Bayern München 80 Millionen Euro für den französischen Verteidiger Lucas Hernandez ausgibt und die DFL jährlich knapp 2 Milliarden Euro mit der zentralen TV-Vermarktung ihres Wettbewerbs einnimmt, wird es für den deutschen Fussball immer schwieriger, sich bei den Polizeikosten aus der Verantwortung zu stehlen. Weitere Bundesländer haben jedenfalls schon in Erwägung gezogen, die Bremer Vorgehensweise zu übernehmen. Fortsetzung folgt.
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Spannend, dass wir noch vergleichsweise gut wegkommen bei den Polizeikosten. Hängt sicher auch damit zusammen, dass es in den letzten Jahren nichts mehr passiert ist und das Polizeiaufgebot zurückgefahren werden konnte.