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von gilardino » 09.02.2011 21:02
Ein Astra in der Hand, ein Koreaner, ein Deutscher und eine undefinierbare Frau im Zugabteil, Viertel vor Eins in der Nacht: Das hatte ich eigentlich nicht geplant. Der Grund, weshalb ich entgegen meiner eigenen Erwartungen doch noch Zeit habe, einen Bericht über die letzten beiden Spiele zu verfassen, lautet Regen: Aufgrund anhaltender Niederschläge wurde der Rasen im Hamburger Volksparkstadion unbespielbar, was eine Absage des lange erwarteten Derbys zwischen dem Hamburger Sportverein und dem FC Sankt Pauli nach sich zog. Eine wahrhaft ärgerliche Tatsache, war die Vorfreude auf dieses Spiel doch wirklich sehr gross. Der Entscheid ist aber unumstösslich, was mich augenblicklich dazu veranlasste, die Nacht in Hamburg abzublasen und mit dem City Night Line, in dem ich jetzt gerade sitze, in Richtung Schweiz zu fahren. Hier habe ich es nicht gerade bequem, aber ich habe doch auch schon in schlimmeren Positionen geschlafen und mein Biervorrat ist mit zwei Astra-Taschenfässern gerade richtig, um nach dem Verfassen dieses Berichts noch ein Schlummertrunk nehmen zu können.
Borussia Dortmund - FC Schalke 04 0:0
Westfalenstadion, 80720 Zuschauer
Angefangen hat das ganze Derbywochenende am Freitag Abend in Dortmund, wo der Quasi-Meister BVB auf den Erzrivalen Schalke 04 traf. Dortmund gegen Gelsenkirchen ist eines der traditionsreichsten Derbys der Bundesrepublik. Diesmal stand es, wie so oft, unter speziellen Vorzeichen: Während sich der FC Schalke sich vor der Saison namhaft und vor allem teuer verstärkte, ist es der Borussia vorbehalten, in der aktuellen Meisterschaft die Rolle des unbestrittenen Protagonisten einzunehmen. Der BVB besitzt nach 19 Spielen bereits elf Punkte Vorsprung auf seinen ersten Verfolger Leverkusen, die Bayern sind sogar noch weiter hinter Dortmund klassiert. Dem FC Schalke hingegen gelingt beinahe nichts. Das Starensemble, aus welchem die Madrider Legende Raul Gonzalez Blanco doch noch hervorragt, ist im hinteren Mittelfeld der Bundesliga klassiert, ohne direkte Aussicht auf Besserung. Für die Schalker ist es im aktuellen Zustand sogar ein Erfolg, nicht mehr auf einem Abstiegsplatz zu stehen.
Das legendäre Dortmunder Westfalenstadion war natürlich ausverkauft. Dass ich trotzdem mit von der Partie war verdanke ich meinem Durchhaltewillen am Computer, als die letzten Karten in den freien Vorverkauf gelangt waren. So sass ich schliesslich für den durchaus annehmbaren Preis von 33€ direkt neben dem Gästeblock auf der Osttribüne, neben mir ein Typ der mich irgendwie immer an Ernie von Stromberg erinnerte. Am Freitag Morgen ging die Reise in Bern los, sechs Stunden und einige Seiten Masterarbeit später traf ich in der westfälischen Biermetropole ein. Nachdem ich meine Herberge aufsuchte, gings direkt mit der Stadtbahn zum Stadion. Dort bekam ich gerade die Ankunft des Mobs aus Gelsenkirchen mit, wobei die Gäste vor allem durch das Abfeuern von Böllern auf sich aufmerksam machten. Ansonsten geschah nichts erwähnenswertes, mal davon abgesehen dass sich das Volk trotz der grossen Polizeipräsenz auf dem Stadionvorplatz zu jedem Zeitpunkt bunt durcheinander mischen konnte. Im Stadion war dies schon eher weniger der Fall, zwar wurden einzelne Blaue auch neben dem Gästesektor ausfindig gemacht, es blieb aber bei wenigen Ausnahmen. Ansonsten waren die Schalker einige Tausend, vielleicht sogar Zehntausend Mann und Frau im Gästeblock, während der Rest des Stadions Gelb-Schwarz war.
Die Heimfans hofften natürlich auf einen Derbysieg ihrer Helden, die vielleicht schon bald die Meisterschale durch die Kampstrasse tragen dürfen. Ihr Optimismus wurde mit einer Startphase belohnt, die es in sich hatte: Dortmund schnürte Schalke regelrecht in seiner Platzhälfte ein, Dortmund besass gefühlte 90% der ersten Halbzeit den Ball und Dortmund besass jede Menge wirklich erstklassiger Torchancen. Doch sowohl Grosskreutz wie auch Barrios, Kuba oder Hummels scheiterten, teilweise kläglich, teilweise unglaublich und meistens beides zusammen, am Schalker Torhüter Manuel Neuer. Hatte ich mich noch vor kurzem gewundert, weshalb Neuer Nationaltorwart ist, so wurde ich nun auf spektakuläre Weise eines Besseren belehrt. Was Neuer hier hielt, das erinnerte an Oliver Kahn in seiner besten Zeit. An ihm und den zu zaghaften Versuchen der Dortmunder lag es, dass es zur Pause immer noch Null zu Null stand.
Nach dem Seitenwechsel spielten die Mannschaften nicht mehr mit den Kurven im Rücken, sondern in die Richtung ihrer Fans. Schalke gelang es dabei, das Geschehen optisch auszugleichen. Doch die grösseren Chancen besassen weiterhin die Dortmunder. Zweimal gelang es ihnen scheinbar, Torhüter Manuel Neuer zu schlagen: Einmal, als Barrios' Schuss an den Pfosten klatschte, und ein anderes Mal, als Götze den Torwart aussteigen liess, die Kugel danach aber ebenfalls an das Gehäuse statt in das Netz setzte. Wer solche Chancen vergibt, braucht sich im Nachhinein auch nicht mehr zu wundern, wenn die Partie schliesslich torlos ausgeht - die Borussia hatte natürlich deutlich mehr vom Derby, hatte Schalke teilweise echt an eine Wand gespielt, doch wer die Tore nicht macht, wird für seinen Aufwand auch nicht belohnt.
Auf den Tribünen nahm die Geschichte einen etwas anderen Lauf. Klar, beeindruckend ist sie schon, die gelbe Wand Nordtribüne Dortmund. Da stehen einfach so mal 27000 Zuschauer auf der gleichen Tribüne. Ein absolut gänsehauterregender Anblick. Doch akustisch kam vom Heimsektor, abgesehen von einigen einfachen Gassenhauern, eher wenig rüber. Dies mag natürlich an meiner Position gleich beim Gästeblock gelegen haben. Aber es lag mit Sicherheit auch daran, dass die Gäste aus Gelsenkirchen einen wirklich sehr starken Auftritt hinlegten - und wer mich kennt, der weiss dass ich deutschen Szenen selten solche Komplimente ausstelle. Die Königsblauen steigerten sich im Laufe der Partie extrem, ihre Stimmung empfand ich wirklich als ausserordentlich gut. Ausschlaggebend dafür waren zwei Gründe: Einerseits die Tatsache, dass fast nie nur die Ultras am Support beteiligt waren; andererseits aber auch, dass sie viele Lieder sangen, die ich noch nie gehört habe. Doch auch hier gilt: Meine Wahrnehmung wurde sicher durch mein Sitzplatz im Sektor 54 beeinträchtigt. Weshalb ich der Heimkurve in meiner Einschätzung wohl auch etwas Unrecht tue. Dortmund würde ich ohnehin sehr gerne mal auswärts sehen.
Hertha BSC Berlin - 1. FC Union Berlin 1:2
Olympiastadion, 74224 Zuschauer
Nach Abpfiff machte ich mich relativ rasch aus dem Staub, das Stadtzentrum erreicht man nach einem Fussmarsch von 25 Minuten. Nach einer wirklich erholsamen Nacht, die durch das frühe Aufstehen zu früh beendet wurde, bestieg ich um 7.48 den ICE über Bielefeld und Hannover nach Berlin. Verantwortlich dafür war die total schwachsinnige Anspielzeit um 13.00 - wer hat so früh denn schon wirklich Lust auf Fussball? Das Berliner Derby war natürlich trotzdem ausverkauft. Es handelte sich meines Wissens dabei seit der Wende um das erste Aufeinandertreffen von Hertha und Union im Olympiastadion. Dies war natürlich ein historisches Ereignis, dem über 74000 Zuschauer beiwohnen wollten.
Das Berliner Olympiastadion gehört trotz seiner Tartanbahn zu den interessantesten Wirkungsstätten des deutschen Fussballs. Gebaut wurde es für die Olympischen Spiele in Berlin im Jahr 1936, danach wurde es mehrfach renoviert. Durch seine einzigartige Bauart mit dem Osttor, den beiden Türmen mit den olympischen Ringen in der Mitte, sowie dem markanten Marathontor, das die Tribüne dramatisch zweiteilt, ist es architektonisch in seiner Art absolut einzigartig. Heute war, wie bereits beschrieben, eine der wenigen Anlässe, bei welchem sich das Stadion ganz füllte. Berlin ist nicht unbedingt eine wahnsinnig fussballverrückte Stadt, obwohl mir bei dieser Feststellung wohl einige Experten aus Köpenick und Erkner widersprechen würden.
Die Gästefans waren es denn auch, die diesem Spiel seinen besonderen Reiz verliehen. Mit gut 15000 Zuschauer angereist stellten die Köpenicker im Gästeblock das unbestrittene akustische Zentrum des weiten Runds dar. Sie sangen ihre Lieder voller spürbarer Leidenschaft und dominierten die Kulisse beinahe zu jedem Zeitpunkt. Einzig vor dem Spiel waren es die Blau-Weissen, welche sich mehr zu Wort gemeldet hatten. Auffällig war dabei, dass sie sich sehr stark auf die Rivalität zum Stadtkonkurrenten Union beriefen, während vom Gästeblock kaum etwas in diese Richtung kam. Dass das Berliner Derby Union gegen BFC Dynamo lautet, scheint einige Herthaner doch ziemlich zu wurmen. Ansonsten ist es vor allem die junge Generation der Herthaner, welche froh darüber zu sein scheint, endlich auch einen Stadtrivalen zu haben. Die Älteren sahen dies nicht unbedingt so, vor der Wende standen sich die beiden Fanszenen durchaus positiv gegenüber.
Ansonsten waren die Heimfans langweilig, und zwar so richtig, richtig langweilig. Klar wurden sie ab und zu etwas laut, aber da war schlicht nichts vorhanden; keine Kreativität, keine Authentizität, keine Glaubwürdigkeit. Alles wäre jederzeit mit jeder anderen Fanszene auf diesem Niveau austauschbar gewesen. Da gefielen die Gästefans, unter der Führung des Wuhle Syndikats, doch deutlich besser. Hier waren es etwa sechs-sieben Lieder, die während des Spiels immer wieder gesungen wurden. Diese waren mir aber, wie schon am Tag zuvor bei Schalke, durchwegs unbekannt. Ausserdem bestachen sie durch eine hohe Mitsingquote, während sie mit optischen Mitteln genauso wie die Heimkurve nicht viel bewirkten. Die Zeiten, in welchen die deutschen Szenen in grossen Spielen auf Biegen und Brechen eine möglichst aufwändige, teure und noch nie dagewesene vierteilige Choreographie aufs Tapet zaubern wollen, scheinen doch vorbei zu sein.
Keine Zweifel bestanden bei der sportlichen Ausgangslage. Die Hertha ist in der vergangenen Saison auf eine Art Betriebsunfall abgestiegen und belegt nun ziemlich unbestritten den ersten Rang in der Tabelle. Währenddessen dümpelt die Union wie so oft in den hinteren Regionen herum. Demnach war zu erwarten, dass das Spiel eine klare Sache wurde, und danach sah es auch zu Beginn aus. Nur zwölf Minuten dauerte es, ehe sich Herthas Hubnik erbarmte und meine unglaubliche Serie von vier torlosen Unentschieden in Folge mit dem Führungstreffer für die Blau-Weissen beendete. Auch in der Folge hatte der BSC die Nase stets vorn, attackierte über die Seite und schien die Union regelrecht zu überlaufen. Die Gäste hatten diesem Sturmlauf vorerst nur wenig entgegenzusetzen. Bis zur 38. Minute schossen sie kein einziges Mal aufs Tor. Dann aber krachte es: Mosquera nahm das Leder an, drehte sich auf Höhe Strafraumgrenze und hämmerte den Ball mit einem sehenswerten Weitschuss zum 1:1 in die Maschen. Gefolgt wurde dieses Tor von einem unglaublich lauten und bewegten Torjubel der Ostberliner, die zu diesem Zeitpunkt überdies rund 20 Fackeln zündeten.
Mit dem für die Union sehr schmeichelhaften 1:1 ging es dann auch in die Pause, sodass der zweite Durchgang eine Entscheidung herbeiführen musste. Die Hertha verlor in ihren Angriffsbemühungen immer mehr den Faden. Das Gegentor hatte dem Leader doch mehr zugesetzt als ihm lieb war. Die Union konnte davon allerdings nicht profitieren, sodass sich das bis dahin attraktive Spiel insgesamt auf eine tiefere Niveaustufe herunter begab. So war es schliesslich bezeichnend, dass die Partie von einer Standardsituation entschieden wurde: Unions Mattuschka versenkte 20 Minuten vor Spielende einen Freistoss aus rund 25 Metern, was den zweiten epischen Torjubel der Unioner zur Folge hatte. Dass die Gäste hier in Führung gingen, war doch eher überraschend. Die Hertha bestimmte das Spiel eigentlich beinahe jederzeit, und wenn nicht dann hatte sie es immerhin soweit im Griff, als dass sie den Gästen keine Tormöglichkeiten zugestanden. Auf das 1:2 reagierte die Hertha mit einem energischen Sturmlauf, Früchte trug dieser aber nicht mehr ein, sodass es schliesslich beim überraschenden Sieg der Eisernen blieb.
Deren Fans feierten dieses historische Ereignis noch längere Zeit, ehe ich mich auf den Weg nach Spandau machte, um von dort aus nach Hamburg weiterzufahren. Problemlos erreichte ich Altona, ehe ich in der Unterkunft eincheckte: Für diese Nacht wählte ich einen 10er Schlag, da ich für den Sonntag Morgen eh keine Arbeitssicht anberaumt hatte. Nachdem ich die überraschend sympathischen Göttinger Sauftouristen und den Cuxhavener Plapperi kennengelernt hatte, erreichte mich ein SMS von Tomi, der mir die Verschiebung des Hamburger Derbys mitteilte. Dies glaubte ich zunächst natürlich nicht, als es mir von den Göttingern, die im Lift einen dementsprechenden Zettel gefunden hatten, bestätigt wurde, war ich aber sicher. Da bekommt der Hamburger Standardsatz "Das Wetter ist Schit heute" doch gleich eine neue Bedeutung.
Schöne Scheisse, hatte ich mich doch wirklich wahnsinnig auf den Vergleich zwischen dem HSV und St. Pauli gefreut. Trotzdem blieb mir nichts anderes übrig, als die Zeit neu zu planen: Ich hatte einerseits die Möglichkeit, Hamburg etwas anschauen zu gehen, ohne dabei Fussball zu sehen. Die Aussicht auf einen Tag Hamburg-Besichtigung im Dauerregen gefiel mir aber doch nicht wirklich. Andererseits boten Spiele wie Bochum-Oberhausen oder Freiburg-Frankfurt Alternativem im deutschen Land. Während mich das erste trotz seinem Ruf als Malocher-Derby nicht genug reizte, rechnete ich mir beim zweiten keine Chancen auf Tickets mehr aus. Und ausserdem: Drittens wäre es möglich, dank einer kurzfristig geplanten Nachtzugfahrt den Rückrundenauftakt zwischen St. Gallen und GC doch nicht zu verpassen. Dafür entschied ich mich schliesslich, und ziemlich exakt eine Stunde nach Beginn des Schreibens neigt sich mein Astra nun dem Ende zu - ein weiteres wird mir beim Einschlafen helfen, ehe ich hoffentlich einigermassen fit in St. Gallen auftauchen werde...
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