Beitrag
von Ste-ba-de » 29.09.2007 13:01
«Ich konnte nachts nicht schlafen»
Jesus Méndez tut sich beim FC St. Gallen schwer. Der Argentinier spielte auch schon mit dem Gedanken, die Ostschweiz fluchtartig zu verlassen. Nun spricht er über seine Probleme und er sagt, weshalb er kein Regisseur ist.
Jesus Méndez, seit dem 5:3-Sieg gegen die Grasshoppers vom vergangenen Mittwoch ist der FC St. Gallen in der Super League nicht mehr Tabellenletzter.
Jesus Méndez: Endlich! Es war deprimierend für den Verein, für die Mannschaft und für die Anhänger, dass wir so lange am Tabellenende lagen. Dort, wo wir vom Potenzial her nie und nimmer hingehören. Wir haben gegen die Grasshoppers gut gespielt und verdient gewonnen.
Zehn Spiele, zehn Punkte, siebter Rang – St. Gallens Bilanz sieht trotzdem nicht rosig aus.
Méndez: Natürlich nicht. Wir haben zu oft verloren, weil wir in der ersten Spielphase unkonzentriert waren und deshalb Gegentore erhalten haben. Wir haben aber auch oft Pech gehabt, Spiele verloren, die wir hätten gewinnen müssen. Während den Gegnern Tore glückten, prallten unsere Schüsse entweder an den Pfosten oder an die Latte. Doch ich hoffe und glaube, dass wir die sportliche Krise nun hinter uns haben.
Woher nehmen Sie diese Zuversicht?
Méndez: Weil wir jetzt besser spielen und auch gewinnen. Die Mannschaft hat sich nie gehen lassen. Sie hat die nötige Ruhe bewahrt, und der Trainer hat uns Spielern stets vertraut. Wir machen alles für den Erfolg, den ich nicht zuletzt dem tollen St. Galler Publikum wünsche.
Am Sonntag trifft der FC St. Gallen auswärts auf den FC Basel …
Méndez: … würde man mir vor diesem Spiel ein Unentschieden anbieten, ich würde es ablehnen. Ich will im St.-Jakob-Park gewinnen, obwohl der FC Basel neben dem FC Zürich gegenwärtig die beste Schweizer Mannschaft ist.
Und wo sehen Sie den FC St. Gallen mittelfristig?
Méndez: Unser Ziel in dieser Saison muss Rang drei sein. Trotz unseres schlechten Saisonstarts ist das keine Illusion.
Schlecht spielten bislang auch Sie. Man bezeichnete Sie schon als ein Millionen Franken teures Missverständnis. Sind Sie ein Fehleinkauf?
Méndez: Nein, wenigstens hoffe ich das nicht. Seit mich der FC St. Gallen im vergangenen Winter vom argentinischen Grossklub River Plate übernommen hat, spielte ich eigentlich nur schlecht. Das weiss ich. Das beschäftigt mich sehr und das ärgert mich auch am meisten.
Was läuft denn falsch?
Méndez: Der Wechsel von Argentinien in die Schweiz machte mir viel mehr Probleme, als ich ursprünglich gedacht habe. Die ersten drei Monate in St. Gallen waren gut. Danach begann eine sehr schwierige Zeit, die ich nicht noch einmal erleben möchte. Ich spielte schlecht, weil ich mich schlecht fühlte. Ich kam alleine nach St. Gallen. Meine Eltern, mein Bruder und meine fünf Schwestern blieben in der Heimat. Ich fühlte mich einsam und konnte nachts nicht schlafen. Ich konnte mich nicht ausdrücken, weil ich die deutsche Sprache nicht beherrsche. Ich hatte Mühe mit der Umstellung von einem Grossklub wie River Plate zu einem kleinen Verein wie St. Gallen. Ich bekundete Mühe mit der Mentalität der Fussballer, die hier spielen. Ich hatte Heimweh und vieles mehr. Ich war drauf und dran, St. Gallen fluchtartig in Richtung Heimat zu verlassen.
Sie kehrten kürzlich tatsächlich, mit der Erlaubnis des Vereins, für ein paar Tage nach Argentinien zurück.
Méndez: Ja. Diese Reise war enorm wichtig für mich. Dafür war und bin ich dem Verein sehr dankbar. Seither geht es mir wieder besser. Ich spüre, dass es mit mir auch fussballerisch wieder aufwärts geht.
Ihre Leistung am Mittwoch gegen die Grasshoppers war ansprechend.
Méndez: Ja, aber nicht gut. Gegen die Grasshoppers hat man nur fünfzig Prozent von dem Jesus Méndez gesehen, der ich in Argentinien bei den Vereinen River Plate und Olimpo war.
In Ihrer Heimat haben Sie im zentralen defensiven Mittelfeld gespielt. Sind Sie eine klassische Nummer sechs?
Méndez: Genau! Seit ich im Alter von achtzehn Jahren Profi geworden bin, spielte ich auf dieser Position. Gewisse Personen haben bei meiner Verpflichtung verlauten lassen, ich sei ein Regisseur, die künftige Nummer zehn des FC St. Gallen. Das ist oder war ein Missverständnis. Ich bin technisch zwar in Ordnung, aber bestimmt kein Regisseur. Ich werde nie dreissig Tore in einer Saison erzielen oder ein Diego Maradona sein. Dafür renne und kämpfe ich gerne. Im Grunde genommen spiele ich auf der gleichen Position wie mein Landsmann Marcos Gelabert. Wenn ich bestimmen dürfte, würde ich mich neben Marcos Gelabert im zentralen Mittelfeld aufstellen. Wir beide würden dann unserem Regisseur Jürgen Gjasula den Rücken freihalten. Aber selbstverständlich spiele ich auf der Position, auf welcher mich der Trainer einsetzt, und versuche dort, dem Team zu helfen. Ich bin Rolf Fringer übrigens sehr dankbar: Er vertraut mir, er spricht mit mir, und er stand stets zu mir, als es mir schlecht ging.
Täuscht der Eindruck, dass Sie gegen die Grasshoppers endlich einmal mit Leidenschaft und Freude gespielt haben?
Méndez: Das ist wahr. Am Mittwoch hatte ich richtig Spass am Fussball. Und ich habe während des Spiels Gott dafür gedankt. Nur wenn ich mich gut fühle, kann ich auch gute Leistungen bringen.
Dann denken Sie also nicht mehr an einen vorzeitigen Abgang aus St. Gallen?
Méndez: Ich habe einen Vertrag, der mich bis 2010 an den FC St. Gallen bindet. Ich mag nicht so weit in die Zukunft schauen. Ich werde in der Winterpause meine persönliche und fussballerische Situation analysieren und dann weitersehen. Ich bin derzeit zufrieden hier. Aber sollte ich längerfristig in St. Gallen bleiben, muss ein Familienmitglied hierher ziehen. Ich mag nicht mehr länger alleine sein. Mit meinen argentinischen und brasilianischen Teamkollegen unternehme ich zwar viele Dinge abseits des Fussballs, aber abends bin ich dann doch allein in meiner Wohnung.
Ihr Vater José wird kaum nach St. Gallen kommen. Er ist ebenfalls im Fussball tätig.
Méndez: Mein Vater trainiert in Mendoza Fussballteams, die sich aus Kindern und Jugendlichen zusammensetzen, die auf der Strasse leben. Mein Vater steht täglich auf dem Fussballplatz und erhält keinen Peso dafür. Wenn er ab und zu einen talentierten Spieler entdeckt, vermittelt er ihn zu einem Verein nach Buenos Aires.
Wovon lebt Ihre Familie denn?
Méndez: Seit ich achtzehn Jahre alt bin, unterstütze ich meine Eltern und meine Geschwister finanziell. Das ist doch selbstverständlich. Ich freue mich, dass ich meiner Familie helfen kann.
Interview: Andreas Werz